Türkei, Uganda, Dubai, Kanada, Irland – für ihre Turnierteilnahmen ist Valeska Knoblauch im vergangenen Dreivierteljahr um die halbe Welt gereist. Zwei Siege hat sie auf ihrer Tour gefeiert, dazu kamen drei dritte Plätze. Die 28-Jährige widmet sich inzwischen voll und ganz dem Para Badminton, aus dem Hobby- ist längst Leistungssport geworden. Sie ordnet alles dem großen Ziel unter, im kommenden Jahr bei den Paralympics in Tokio dabei zu sein.
Für die Teilnahme an den Qualifikationsturnieren ist ihr kein Weg zu weit. Anstrengend sei es natürlich manchmal, sagt Knoblauch, denn nicht immer funktioniere die Logistik reibungslos. Aber das schreckt sie nicht – genauso wenig wie die Sportstätten unlängst in Afrika, die nicht barrierefrei sind. Wo kein Weg ist, dort sucht sie sich eben einen. Das liegt in ihrem Naturell. „Die Reise nach Uganda war sicher speziell, aber sportlich sehr wichtig für mich“, erklärt Knoblauch, die zum Top Team des Deutschen Behindertensportverbands gehört.
Der Erfolg brachte ihr reichlich Punkte für die Tokio-Qualifikation. Derzeit führt die Olperin die Rangliste an, und mit jeder vorderen Platzierung wird ihr Paralympics-Traum ein wenig realistischer. Ihre guten Ergebnisse machen sie bei den Weltmeisterschaften in der Schweiz, die vom ?20. bis 25. August in Basel stattfinden, zu einer Mitfavoritin – auch wenn sie das selbst anders sieht. „Auf dem Papier bin ich die Gejagte“, erklärt die 28-Jährige, „aber ob das so stimmt? Sagen wir mal: Ich spiele oben mit.“
Denn im Para Badminton dominieren die Asiaten, vor allem die Koreaner und Chinesen. „Sie sind unglaublich stark, haben aber auch andere Möglichkeiten“, erklärt Bundestrainer Christopher Skrzeba. Mit der Thailänderin Sujirat Pookkham kehrt nun die lang verletzte, frühere Weltranglisten-Erste zurück. „Auf die bin ich gespannt“, sagt Knoblauch, die auf eine Medaille hofft. Dass bei der WM doppelt Punkte für Tokio vergeben werden, macht ein gutes Resultat umso wichtiger.
Seit einem Unfall vor 14 Jahren sitzt die junge Frau im Rollstuhl. Es ist ein normaler Schultag, die damals 14-Jährige setzt sich auf eine Fensterbank, verliert das Gleichgewicht und stürzt unglücklich aus etwa drei Metern Höhe in die Tiefe. Viel spricht sie nicht mehr über diesen Tag, der ihr Leben grundlegend veränderte. Sie hat ihr Schicksal schnell akzeptiert. Valeska Knoblauch ist seitdem querschnittsgelähmt. Es folgen viele Monate im Krankenhaus und in der Reha. Nach und nach kämpft sie sich in ein geregeltes Leben zurück. „Ich war damals zu jung und naiv, um die Konsequenzen des Sturzes richtig abschätzen zu kennen“, sagt sie heute. „Ich hatte immer Unterstützung, gefühlt war ich nie in einem Loch.“ Von Anfang an habe sie ihren Rollstuhl immer als etwas Positives gesehen, „das hat mir geholfen“.
Statt zu hadern, hat sie ihr Handicap zu ihrer großen Stärke gemacht. Zwei Jahre nach ihrem Unfall probierte sie auf der Messe Rehacare zum ersten Mal Para Badminton aus. „Das hat Spaß gemacht.“ Inzwischen spielt sie auf Weltniveau. Im November wurde sie Europameisterin, bezwang im Finale die starke Schweizerin Karin Suter-Erath und gewann überdies Bronze mit Doppelpartnerin Elke Rongen. Dass Para-Badminton 2020 in Tokio erstmals zum Programm der Paralympics gehört, spornt die Athletin des SC Union Lüdinghausen zusätzlich an. „Es wäre etwas Besonderes, bei der Premiere dabei zu sein.“
Dafür trainiert Knoblauch hart, sie hat ihr Pensum erhöht. Zu Beginn pendelte die Athletin noch für jedes Training von ihrem Wohnort Olpe im Sauerland zu ihrem ehemaligen Verein nach Dortmund. Mittlerweile wohnt sie in Köln, studiert Psychologie und nutzt die Nähe zur Deutschen Sporthochschule und ihrem Bundestrainer Christopher Skrzeba. An drei Tagen trainiert Knoblauch unter Top-Bedingungen jeweils vier Stunden. Für ihre Ausdauer schruppt sie zusätzlich Kilometer mit dem Handbike. „Motivieren muss man Valeska nicht“, sagt Skrzeba schmunzelnd, „eher ab und an bremsen“. Manchmal sei sie noch zu aufgeregt auf dem Platz, sodass sie ihr Leistungsvermögen nicht vollständig abrufen könne.
Beide profitieren enorm von der Zusammenarbeit. In Köln hat Knoblauch außerdem den Vorteil, dass sie regelmäßig mit Elke Rongen sowie ihrem Freund und Mixed-Partner Young-Chin Mi trainieren kann. Mit der Aufnahme ins paralympische Programm 2014 hat die junge Sportart einen enormen Schub erfahren. Die Strukturen sind gewachsen. Vor allem in punkto Trainingsintensität und Professionalisierung habe sich vieles getan. „Wir verbessern nach und nach die Trainingsumfelder der Athleten, um ihnen mehrmalige Einheiten in der Woche zu ermöglichen“, erklärt Skrzeba, der die Entwicklung der Sportart auf einem guten Weg sieht.
Bei der WM in der Schweiz gehen insgesamt zehn deutsche Athleten in den Disziplinen Einzel, Doppel und Mixed an den Start – darunter auch der mehrfache Welt- und Europameister Thomas Wandschneider. Primäres Ziel sei es, die Gruppenphase mit allen zu überstehen. Skrzeba will sich nicht festlegen, „aber einigen traue ich sehr viel zu“.
Valeska Knoblauch zum Beispiel hat im Einzel in der Startklasse WH1 die größten Medaillenchancen, viel wichtiger aber für die Paralympics-Qualifikation wird das Doppel sein. Warum? „Wer bei den Rollstuhlfahrern im Doppel sein Ticket für Tokio gelöst hat, und das sind am Ende die weltweit sechs besten Teams, darf automatisch im Einzel starten“, erklärt der Bundestrainer. Das Duo Knoblauch/Rongen wäre aktuell dabei. Die Qualifikation über die Einzel sei dagegen ungewiss. „Die Ranglistenerste wird der Weltverband sicher schicken, aber wir können nicht davon ausgehen, dass Valeska die Nummer eins bleibt.“
Also gilt alle Konzentration den Doppeln. Die Teilnahme in Tokio wäre für Knoblauch der Höhepunkt ihrer bisherigen sportlichen Karriere. Ob sie manchmal an ihr altes Leben zurückdenkt oder es sich sogar zurückwünscht? Die 28-Jährige zuckt mit den Schultern. Was soll sie auch sagen. Sie ist damals sogar in ihre Schule zurückgekehrt, hat Abitur gemacht und führt heute ein eigenständiges Leben. „Warum auch nicht? Ich kann alles machen, ich sitze nur im Rollstuhl“, entgegnet sie. Der Sport, den sie mit ihrem Partner teilt, ist zu ihrem Lebensmittelpunkt geworden. Sie ist erfolgreich und glücklich. „Das lässt mich nicht nachdenken über das Leben davor.“
Bis zum Frühjahr 2020 stehen sieben weitere Qualifikations-Turniere an – die sechs besten Ergebnisse fließen am Ende in die Wertung ein. Die Motivation, in Tokio dabei zu sein, ist hoch. Mit einer weiteren Top-Platzierung bei der WM würde Knoblauch ihrem Ziel wieder ein Stück näherkommen.
Das deutsche WM-Aufgebot:
Nils Böning (20 / 1. BCB Saarbrücken Bischmisheim / St. Ingbert), Tim Haller (24 / Buxtehuder SV / Ludwigsburg), Rick Cornell Hellmann (31 / RSC Berlin / Berlin), Valeska Knoblauch ( 28 / RBG Dortmund / Bonn), Young-Chin Mi (40 / VFL Grasdorf / Castrop-Rauxel), Jan-Niklas Pott (25 / VFL Grasdorf / Kiel), Elke Rongen (49 / BSG Aachen / Heinsberg), Katrin Seibert (49 / 1. BC Dortmund / Dortmund), Thomas Wandschneider (55 / VFL Garsdorf / Buxdehude), Pascal-Sebastian Wolter (44 / OSC Düsseldorf / Düsseldorf)