Mittlerweile ist der 34-jährige Roth als Staatsanwalt tätig und erzählt im Interview von den Herausforderungen und Perspektiven, die mit einer Karriere im Leistungssport verbunden sind.
2013 bei den YONEX German Open hast Du Dich aus der Nationalmannschaft und vom Bundesstützpunkt verabschiedet. Was hast Du seitdem gemacht und wie hat sich dein Alltag verändert?
Oliver Roth: Relativ schnell hat sich mein Alltag radikal verändert. Nach den YONEX German Open am Freitag hab ich am Montag mit der Vorbereitung auf das juristische Staatsexamen begonnen. Das heißt von sechs Stunden Training am Tag ging es dann sechs bis acht Stunden an den Schreibtisch. Im März 2015 hab ich das 1. Staatsexamen geschrieben, in der Folge bin ich in das zweijährige Referendariat gegangen und nach dem 2. Staatsexamen sowie der mündlichen Prüfung hab ich im Februar 2018 bei der Staatsanwaltschaft angefangen.
Was machst Du dort genau?
Roth: Im Moment beschäftige ich mich mit Strafverfahren aus dem Verkehrs- und Jugendstrafrecht und hier mit einem breiten Spektrum: Von fahrlässigen Tötungen über illegale Autorennen und Drogendelikten bis hin zu Körperverletzungen.
Nochmal zurück zum Studium – den letzten Teil Deines Studiums hast Du dann nach der Leistungssportkarriere gemacht?
Roth: Genau. Mit dem Start meines Trainings in Saarbrücken habe ich mich gleichzeitig für das Jurastudium eingeschrieben. Nach zehn Semestern war ich dann scheinfrei und hatte die Berechtigung, das 1. Staatsexamen zu schreiben, was allerdings mit der Olympiaqualifikation für London 2012 kollidierte. In der Zeit war mit klar, dass es mit der Vorbereitung auf das Staatsexamen unrealistisch ist, weil ich viel auf Turnieren unterwegs sein würde und hab es dann für das Jahr auf Eis gelegt.
Also hast Du das komplette Studium bis zur Olympia-Quali sozusagen durchgeboxt?
Roth: Ja, es war zum Start des Studiums noch eine andere Zeit. Ich stand noch nicht so im Fokus. Die Trainer hatten mir damals zwar von der Kombination Jura und Leistungssport abgeraten, aber letztendlich meine Entscheidung akzeptiert. Es gab auch noch keine Laufbahnberatung, die kam erst später dazu. Es war teilweise schon sehr stressig, weil es viele Prüfungen gab, die ich alle mitgeschrieben habe. Ich hatte da noch nicht die Ahnung und war noch nicht mit der letzten Entschiedenheit, das Studium zu strecken, sondern hab es wie ein normaler Student durchgezogen.
Heißt aber auch zwei Jobs auf einmal durchgeführt – Vollzeitstudent und Leistungssport. Wie war das für Dich?
Roth: Ich bin normal ins Training gegangen. Außer freitags hatten wir jeweils zwei Einheiten. Ich bin in der Früh ins Training gegangen, danach in die Mensa und hab dann in der Bibliothek bis zur Abendeinheit gelernt. Ich war keiner, der bei Vorlesungen anwesend war. Die Pflichtveranstaltungen, insbesondere die Kleingruppen, habe ich natürlich besucht – die konnte man relativ frei legen. In den Prüfungsphasen hab ich noch am Abend ein bis zwei Stunden drangehängt.
Wenn Du jetzt zurückschaust auf den sportlichen Teil Deiner Karriere, vermisst Du den Leistungssport und wenn ja, was genau?
Roth: Ich schaue nach wie vor sehr gerne auf die Zeit zurück. Sie hat mir wahnsinnig viel Spaß und Freude bereitet, nicht zuletzt durch das sehr gute Umfeld und auch die Jungs, mit denen ich zusammen trainiert habe. Das hat einfach gepasst. Mit den Turnieren, dem vielen Reise und gerade als es auch sportlich interessanter wurde, war es eine sehr spannende Zeit. Wenn ich mein Leben heute betrachte, drei Kinder und diesen Job, kann man nicht sagen, dass ich irgendwas falsch gemacht hätte. Ich bin überzeugt, dass ich sicherlich auch noch schöne Jahre in Saarbrücken gehabt hätte, aber ich bereue weder das eine noch das andere.
Es ist ja eine andere und besondere Karriere, die Du jetzt als Staatsanwalt eingeschlagen hast – welche Qualitäten sind in Deinem Job gefordert, wie kommt da vielleicht auch Deine Leistungssportkarriere zum Tragen?
Roth: Die Staatsexamen in Jura sind nicht die einfachsten. Vor allem ist die Note sehr entscheidend. Ich war es schon gewohnt, durch unangenehme Phasen zu gehen, war sehr zielstrebig und ehrgeizig. Ich wusste einfach, dass ich diese Noten haben und in den Staatsdienst kommen will. In der Zeit habe ich dem alles untergeordnet. Das ist im Leistungssport ja nichts anderes. Derjenige, der den letzten Schritt geht, wird dann auch oben stehen. Es gibt zwar auch immer den, der es einfach drauf hat. Das ist aber nicht unser Maßstab. Wir können uns nicht an den Genies wie Lin Dan oder Roger Federer orientieren. Wir müssen schauen, dass wir solche Leute in 99 Prozent der Fälle eben nicht haben. Und das galt für mich im Sport, das galt für mich auch im Jura. Da wurde mir nichts geschenkt, sondern ist alles hart erarbeitet – und da hat der Sport mir schon sehr geholfen.
Viele junge Spieler biegen vor der Entscheidung Leistungssport oder Studium bzw. Ausbildung oft ab. Wie war es damals für Dich?
Roth: Diese Thematik hat sich eigentlich nicht gestellt. Ich hatte eher familiäre Spannungen, da meine damalige Freundin und jetzige Frau hier in Bayern sehr verwurzelt ist. Wir waren auch noch nicht lange zusammen als die Entscheidung anstand, nach Saarbrücken zu gehen. Nach vielen Gesprächen mit meinem damaligen Trainer Manfred Ernst und meiner Frau haben wir uns dann entschieden, den Schritt zusammen zu gehen. Außer Frage stand, dass ich nebenbei studiere.
Du hattest eben schon die Parallelen zwischen Studium und dem Leistungssport. Was braucht man speziell im Seniorenbereich, vielleicht auch im Gegensatz zum U19-Bereich, um erfolgreich zu sein?
In erster Linie ist tagtäglich harte und disziplinierte Arbeit gefordert, während im Jugendbereich vielleicht oft der talentierteste, der mit der schönsten Technik oder dem besten Schlägen gewinnt. Im Erwachsenenbereich erkennt man dann schnell, dass es erstmal darum geht, sich körperlich auf die Belastungen einzustellen und sich dann „den Arsch aufzureißen“. Es gibt immer mal Ausnahmen, aber zu 95 Prozent ist das der Fall. Wenn ich mir die Leute anschaue, die das mit mir durchgezogen habe: Ingo Kindervater, Johannes Schöttler und Michael Fuchs zum Beispiel – das sind alles Leute, die sich das erarbeitet haben. Man sieht dann, dass es nicht mehr funktioniert mit dem, was Dir Gott gegeben hat, sondern man muss für Erfolge arbeiten. Und so ist es ja überall, später im Job auch. Wenn man voran kommen will, geht es darum, hart zu arbeiten, sich neue Fähigkeiten anzueignen und eben nicht zu sagen: dass gestern Erlernte bringt mir für morgen auch noch etwas. Die Einstellung, die man im Leistungssport lernt und mitbekommt ist hilfreich für das spätere Leben, davon bin ich überzeugt.
Beleuchten wir einmal den finanziellen Aspekt – dies ist ja für Spieler nach der Jugend und oft für deren Eltern ein wichtiger. Man hat ja oft das Bild, Badminton als Beruf und innerhalb dieser Leistungssportkarriere ist wenig lukrativ. Wie war das für Dich?
Roth: Ich hab damals bereits zu Beginn eine Förderung der Sporthilfe bekommen. Man hat in der Regel einen Schlägersponsor, der ein bisschen was zahlt und einen Verein, der die Turniere übernehmen kann. So war es bei mir am Anfang. Vielleicht bleibt Dir am Ende noch etwas übrig, vergleichbar mit einem Studentenjob, den man fürs Studium zum Leben braucht. Aber später und im Laufe der Jahre wurde es dann bedeutend mehr. Letztendlich kann man als Badmintonspieler, der nebenbei noch studiert einfach sehr, sehr gutes Geld verdienen. Das muss man einfach so sagen. Ein Student, der einfach nur studiert, wird so viel Geld mit Nebenjobs niemals verdienen können. Natürlich bringt der Leistungssport auch Entbehrungen, aber finanziell gesehen, steht man gut da in dieser Zeit.
Ja, interessant. Da ist ja oft ein konträres Bild vorhanden. Schauen wir nochmal auf Deine gesamte sportliche Karriere zurück, an welche Momente denkst Du Dich gerne zurück?
Roth: Es sind natürlich zum einen die sportlichen Erfolge, an die man auch heute noch denkt. Die bleiben einem natürlich in Erinnerung. Der Ablauf des Turniers, in welchem Hotel waren wir, wie war die Situation – das ist einfach noch unglaublich präsent, obwohl es ja auch schon 8 Jahre her ist. Dann aber auch die Teamevents. Thomas Cup zum Beispiel, wo man mit den Jungs unterwegs ist, geile Spiele hat und eine unglaubliche Atmosphäre in Asien erlebt und eben das Drumherum auch noch stimmt. Zuletzt, gerade wenn ich an Saarbrücken zurückdenke, sind es auch so Kleinigkeiten, oft alltäglich Dinge, wie die Fahrt mit dem Roller zum Training – schöne Erinnerungen, die einem immer wieder kommen.
Mal angenommen, du wärst nochmal 18. Würdest Du Dich wieder so entscheiden?
Roth: Ja, ich würde es nochmal so machen, das steht außer Frage. Ich würde versuchen mir für den Start schon einen strukturierteren Plan zurechtzulegen und besser informiert zu sein über alle Abläufe. Was bedeutet das alles, was kommt auf mich zu – ich bin ja relativ blauäugig reingegangen.
Das wäre dann auch schon Dein Rat an junge Spieler?
Roth: Ja genau, sich gut informieren, was kommt auf mich zu in Kombination mit dem Studium? Am besten auch mit Spielern reden, die das schon hinter sich haben und auch im Vergleich ohne Leistungssport. Dann kann man abwägen, ob das für einen individuell leistbar ist. 95 Prozent der Studiengänge, das zeigt ja die Vergangenheit, sind mit dem Leistungssport kombinierbar, also ohne weiteres – es heiß eben „Arsch aufreißen“.