Es war ein Lehrer, der ihr Talent entdeckte. Nicole war acht Jahre alt, als Hans-Georg Kolodziej im Sportunterricht bemerkte, wie gut die Grundschülerin mit Ball und Schläger umgehen konnte. Fortan spielte Nicole bei der TSG Schopfheim Badminton. Dort war Kolodziej auch als Trainer tätig und konnte Nicoles Begabung entsprechend fördern.
Sechs Jahre später, es war das Jahr 1988, wurde Nicole erstmals Deutsche Schülermeisterin im Einzel. Genau in jenem Jahr also, in dem der Badmintonsport in ein neues Zeitalter aufbrach: Bei den Olympischen Spielen in Seoul wurde das Rückschlagspiel als Demonstrationssportart vorgestellt, um vier Jahre später offiziell ins olympische Programm aufgenommen zu werden. Als es soweit war, hatte Nicole bereits sieben Titel bei Deutschen Jugendmeisterschaften im Einzel und Doppel gesammelt.
Dem wachsenden Interesse an der Sportart Badminton und dem bevorstehenden Olympiastatus war es zu verdanken, dass ab Ende der 1980er Jahre auch bei Jugend trainiert für Olympia der Federball übers Netz flog. Nach einem Testlauf beim Herbstfinale 1987 und weiteren Wettbewerben auf Landesebene im Jahr 1988 wurde Badminton 1989 offizielle „Jugend trainiert“ Sportart. Als junge Pionierin war Nicole Grether von Anfang an dabei.
Zwischen Tragik und Erfolg: Die Karriere von Nicole Grether
Mehrere Male nahm sie mit dem Schulteam des Theodor-Heuss-Gymnasiums Schopfheim am Schulsportwettbewerb teil, wobei die prägendste Erfahrung eine bittere war, wie sich die heute 46-Jährige erinnert: „Wir hatten ein recht starkes Team, weil neben mir noch andere im Verein Badminton spielten. So konnten wir uns regelmäßig für das Landesfinale in Karlsruhe qualifizieren. Einmal haben wir dort sogar gewonnen und wären beim Bundesfinale in Berlin dabei gewesen, hätte unser Lehrer nicht eine zu junge Spielerin eingesetzt, weshalb wir im Nachhinein wieder disqualifiziert wurden.“ Niemand, auch ihr Lehrer nicht, hatte damit gerechnet, dass der Einsatz einer zu jungen Spielerin bestraft werden würde. Aber die Regularien bei „Jugend trainiert“ sahen damals wie heute pro Wettkampfklasse Altersgrenzen nach oben und unten vor. Die Entscheidung der Wettkampfleitung war korrekt und die Enttäuschung innerhalb der Mannschaft riesengroß.
Die Teilnahme beim Bundesfinale in Berlin ist Nicole Grether so auf tragische Weise verwehrt geblieben. Den Traum von Olympia aber konnte sie sich Jahre später dennoch erfüllen. Mit einem Augenzwinkern könnte man sagen, dass die Rekordnationalspielerin, 27-fache Deutsche Titelträgerin und Vizeeuropameisterin einfach eine Stufe übersprungen hat auf dem Weg von „Jugend trainiert“ zu Olympia. In Sydney feierte Grether im Jahr 2000 ihre Olympiapremiere und erreichte sowohl im Einzel als auch im Damendoppel an der Seite von Karen Stechmann einen hervorragenden 9. Platz. Auch 2004 gelang bei den Olympischen Spielen von Athen im Damendoppel der Einzug ins Achtelfinale.
In der vorolympischen Saison 2007 erlitt Nicole Grether zwei Achillessehnenabrisse, fiel mehrere Monate lang aus und verpasste ihre dritten Olympischen Spiele. Ihre Karriere setzte sie allerdings für sechs weitere Jahre fort, wobei sie seit Mitte 2008 im Doppel an der Seite der kanadischen Spielerin Charmaine Reid antrat. Auch in den letzten Jahren ihrer Sportkarriere feierte Nicole Grether im Einzel und Doppel große Turniererfolge. Sie startete zuletzt unter kanadischer Flagge, behielt dabei aber ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Im Jahr 2014 beendete Grether ihre sportliche Laufbahn.
Nicole Grether hat eine Mission und wird Botschafterin ihrer Lieblingssportart
Ihrer Leidenschaft Badminton und dem Sport im Allgemeinen blieb sie allerdings treu. Ein Leben ohne Bewegung könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie. Diese Einstellung gibt sie seit einigen Jahren auch an andere weiter. Mit Erwachsenen arbeitet Nicole Grether als Personal Trainer. Und an über 100 Schulen hat sie bis jetzt Badminton-Projekte durchgeführt und Feriencamps geleitet; 20 weitere sind bereits vorausgeplant.
„Badminton eignet sich perfekt für den Schulsport, weil die meisten Kinder schon einmal in ihrer Freizeit Federball gespielt haben. Darauf kann man im Unterricht wunderbar aufbauen“, erklärt die frühere Spitzensportlerin. „Das faszinierende an der Sportart ist: Der Einstieg ist leicht und man hat sehr schnell Erfolgserlebnisse. Zudem werden ganz unterschiedliche Fähigkeiten wie Ausdauer, Kraft, Reaktionsschnelligkeit oder auch Hand-Auge-Koordination geschult. Wenn man dann ein gewisses Niveau erreicht, verlangt Badminton einem alles ab. Es ist ein enorm schnelles Spiel, das neben dem Genannten auch Spielintelligenz und taktisches Geschick erfordert. Am wichtigsten aber ist: Badminton macht den Kindern und Jugendlichen einfach Spaß. Das erlebe ich immer wieder. Ich höre, dass die Kids nach dem Workshop auch im Unterricht und in den Pausen Badminton spielen wollen. Lehrkräfte bestellen bei mir Schläger und in den Vereinen wachsen die Mitgliedszahlen, nachdem wir umliegende Schulen besucht haben. Das bestätigt mich in meiner Arbeit. Dabei wäre es mir sogar egal, ob die Kinder anschließend weiter Badminton spielen oder sich für eine andere Sportart entscheiden. Hauptsache, sie bewegen sich.“
In diesem Sinne hat Nicole Grether die gleiche Mission wie Jugend trainiert für Olympia & Paralympics. Ein Hauptanliegen des Schulsportwettbewerbs ist es, Kinder und Jugendliche für den Sport zu begeistern und zu lebenslangem Sporttreiben zu animieren. Genau das möchte Nicole Grether auch, weshalb sie vor zwei Jahren gerne die Aufgabe der Jubiläumsbotschafterin anlässlich des 50-jährigen Bestehens von Jugend trainiert für Olympia übernahm. Bei der Eröffnungsfeier des Jubiläumsfinales im Berliner Olympiastadion war sie als Fahnenträgerin ihres Bundeslandes Baden-Württemberg hautnah mit dabei.
„Das war genial. Quasi Olympia in klein und für mich wie ein Déjà-vu, als ich mit der Mannschaft Baden-Württembergs ins Stadion einmarschiert bin. Ich habe mich natürlich auch mit Schülerinnen und Schülern unterhalten, die hoch motiviert waren, auch einmal den Sprung zu den Olympischen Spielen zu schaffen. Bei der Eröffnungsfeier in Berlin haben sie auf jeden Fall einen guten Vorgeschmack bekommen, wie sich das anfühlt. Für mich kann ich sagen: Die Stadionrunde bei der Eröffnungsfeier in Sydney, das waren die schönsten 400m in meinem Leben – absolut beeindruckend. Es ist ein Highlight, wenn man da plötzlich im Rampenlicht steht und einem mit einem Mal klar wird: Die ganzen Jahre harter Arbeit haben sich ausgezahlt, du bist dabei und darfst das miterleben. Dafür lohnt es sich auf jeden Fall zu kämpfen.“
Diese Botschaft ist bei den Schülerinnen und Schülern, die sich damals, 2019, für das Jubiläumsfinale qualifiziert hatten, angekommen. Auch der eine oder die andere von ihnen wird womöglich den Sprung zu den Olympischen oder Paralympischen Spielen schaffen. Wann immer das gelingt, löst der Wettbewerb gewissermaßen sein Ursprungsversprechen ein: im Schulsport Talente zu sichten und ihnen bei „Jugend trainiert“ eine Wettkampfplattform zu bieten; sie zu fördern und ihnen eine Brücke zwischen Schule und Sportverein zu bauen; und ihnen so den Weg zu spitzensportlichen Karrieren zu ebnen, die im besten Fall zu den Olympischen oder Paralympischen Spielen führen.
Wer weiß schon, ob die 8-jährige Nicole jemals Badmintonspielerin geworden wäre, ohne den geschulten Lehrerblick von Hans-Georg Kolodziej. Engagierte Lehrkräfte wie er sind es, die den Grundstein legen auf dem Weg von "Jugend trainiert" zu Olympia. Nicole Grether ist ihn gegangen und nun selbst zum wegweisenden Vorbild geworden.
Der Artikel von Kai Gemeinder erschien zuerst auf jugendtrainiert.com und wird mit freundlicher Genehmigung auf badminton.de veröffentlicht.