Ich antworte den Fragen von Rainer wahrheitsgemäß und denke mir derweilen, das wird ja ein außergewöhnliches Interview - denn normalerweise stelle ich die Fragen. Im nächsten Satz zählt Rainer einige kognitive und motorische Eigenschaften von mir auf, die durch das kurze Profiling vermutlich auf mich zutreffen. Siehe da, die meisten stimmen! Er nennt das ganze ActionTypes, kennengelernt in seinem Einsatz als Coach in der Schweiz. Schnell merke ich, dass Rainer und ich einen guten Draht haben, er erzählt mir von seiner Trainerphilosophie. Ihm ist es enorm wichtig, nach folgendem Leitsatz zu arbeiten: "Ich bin okay und du bist okay". Er möchte jedem seiner Athlet*innen die Chance geben, sich einzigartig erleben zu können. Das inkludiert nach Rainer wertschätzendes und mitfühlendes Verhalten des Trainers gegenüber den Athlet*innen. Inwiefern Rainer Badminton lebt, was es eigentlich mit ActionTypes auf sich hat und wie sein wellenförmiger Lebenslauf gestrickt ist, erfahrt Ihr in folgendem Interview.
Was begeistert Dich so an der Sportart Badminton?
„Am Badmintonsport finde ich genial, dass man auf dem Feld alleine die Lösungen finden und Entscheidungen treffen muss und dafür die Verantwortung übernimmt. Die Aufgaben, die der Gegner von außen stellt und die Anforderungen an den inneren Prozess angemessene Lösungen zu finden, bieten einzigartige Möglichkeiten, sich selbst kennenzulernen und weiterzuentwickeln.“
Warum bist Du Trainer? Was bedeutet die Tätigkeit für Dich?
„Als Trainer*in hat man das unfassbare Glück mit anderen Menschen in einen Entwicklungsprozess einzutreten. Das Interessante in diesem Prozess ist, wie ich mich entwickle, um die andere Person begleiten zu können. Dabei ist es egal, ob ich mit einem FSJ´ler zusammenarbeite oder einem Athleten*in.“
Wer hat Dich als Trainer geprägt?
„Meine Laufbahn haben viele Menschen geprägt, nicht nur Trainer*innen. In vielen verschiedenen Entwicklungsphasen haben mir unterschiedliche Persönlichkeiten mit ihren Impulsen weitergeholfen! Besonders in Erinnerung ist mir Flemming Wiberg geblieben, der durch seine Art des Führens mein Herz bis heute besonders berührt!
Dazu eine kleine Geschichte:
„Als heranwachsender Coach übergab mir Flemming bei den Bitburger Open direkt die Verantwortung für die Athletin Anika Sietz, welche ein sensationelles Turnier spielte. Sie gewann gegen Spielerinnen, die sie bis dahin nicht geschlagen hatte und erreichte als einzige deutsche Spielerin das Viertelfinale. Flemming hätte nun als Nationaltrainer die weitere Betreuung übernehmen können und innerlich war ich auf diesen Schritt eingestellt. Stattdessen übergab er mir, dem Jungspund auch am Viertelfinaltag die Verantwortung für die Betreuung von Anika. Das berührt mich bis heute und ist eine meiner emotionalsten Erfahrungen. Wir sind im Rahmen des Elitetrainerprojektes von Flemming und Wolfgang Klöckner immer wieder in unterschiedlichsten Coachingaufgaben ins kalte Wasser geworfen worden! Die Situationen waren damals für mich sehr fordernd, anspornend und faszinierend zugleich. Ich habe bei ihm gelernt, wie wichtig Vertrauen schenken für erfolgreiche Führung ist!“
Wie ist Dein aktueller Blick auf den deutschen Badmintonsport?
„Meiner Meinung nach laufen wir aktuell an einigen Stellen in die falsche Richtung. Ich vermisse die Aufbruchsstimmung meiner jungen Trainerzeit, die der Motor für Entwicklung und Fortschritt in den Folgejahren war. An einigen Stellen arbeiten wir derzeit sensationell, vor allem im Bereich Bildung findet eine gute Entwicklung statt! Aber es fehlt in der Athletenausbildung das Extra, in dem wir uns von der Konkurrenz unterscheiden. Damals war dieses Extra, der für uns alle neue Austausch unter den Trainerkollegen (legendäre Austauschnächte nach einem Tag Lehrgangsarbeit mit den Athlet*innen) und die Entwicklung eines neuen Formats mit zuerst einem, später zwei Talentteams. Diese Bereiche sind nun ausgereizt und wir brauchen einen neuen Schritt, der aus meiner Sicht kein struktureller wie damals, sondern ein inhaltlicher sein muss. Was ist denn das Extra, für welches das deutsche Badminton stehen möchte? Und dabei ist bitte nicht - 'Wir starten jetzt alle anders oder wir schlagen anders' - gemeint. Nein, wir brauchen wieder eine neue – ja, eine revolutionäre Idee, die den Motor für ein neues 'Jetzt geht’s los' kreiert.“
Gibt es drei Dinge, die Du als Trainer gelernt hast?
- 1: „Ganz wichtig ist, dass du wertschätzend mit deinen Athlet*innen umgehst! Respektiere die Individualität!“
- 2: „Es gibt nichts Schöneres, als zu spüren, welche Energie und Lebenslust in Weiterentwicklung steckt!“
- 3: „Mehr auf der Handlungs- und Persönlichkeitsebene zu denken, anstatt immer nur Bewegungsebene auszubilden!“
Wie sollte eine optimale Trainingsatmosphäre für erfolgreiches Trainingssetup aussehen?
„Mir ist wichtig, dass die Kids Freude und Lust haben, etwas Neues auszuprobieren und dabei gleichzeitig versuchen alles zu geben. Als Trainer*in sollte man unbedingt viel positive Rückmeldung geben!“
Was sind Deine drei Tipps, wie man als Trainer*in im Training auftreten sollte?
„Wertschätzung, Mitgefühl, Aufmerksamkeit und Vertrauen ist das was Kinder und Jugendliche brauchen. Zeig' diese Werte!“
Was ist Deine 'Best-Practice'-Übung im Kinder- & Anfängertraining?
„Gibt’s nicht und kann es aus meiner Sicht gar nicht geben! Dazu gibt es zu viele unterschiedliche Lerntypen und Individualitäten. Und genau das ist auch ihr Recht! Einzigartig sein und 'Best-Practice' gehen da nur zusammen, wenn es 'Best-Practice' für den Einzelnen ist“
Gibt es eine Maßnahme, mit der Du Unpünktlichkeit in den Griff bekommen hast?
„Pünktlichkeit ist keine Selbstverständlichkeit, vor allem da viele Kinder- und Jugendlichen diese als Teil von Respekt gegenüber der Gruppe erst lernen müssen. Wer zu spät kommt muss sich selbst einsortieren. Das ist unangenehm und passiert bei mir in der Halle nicht mehr so häufig.“
Welches Wort verwendest du am häufigsten beim Loben deiner Athlet*innen?
„Sensationell!“
Welche Momente im Training zaubern Dir ein Lächeln ins Gesicht?
„Immer dann, wenn ich bemerke, dass die körperlichen Veränderungen den nächsten Entwicklungsschritt zulassen. Wir sollten unsere eigenen Erwartungen öfters hintenanstellen, um eine optimale Entwicklung der Trainierenden zu fördern!“
Welcher Rat hat Dir in Deiner Karriere am meisten geholfen?
„Bleib bei der Sache!“ (Ich kann sehr abschweifend sein)
Welchen Tipp möchtest du allen Trainer*innen in Badminton-Deutschland mitgeben?
„Sei du selbst! Dazu gehört die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu leben!“
Talentscoutausbildung DBV:
„Die Talentscoutausbildung wurde 2007 ins Leben gerufen und mit der Einrichtung der Bundestrainer für Talententwicklungsstelle 2009 an diese angebunden. Da für mich Kindertrainingsinhalte in der damaligen Trainerausbildung nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, habe ich die Talentscoutausbildung von einem Kindertrainingswochenende auf drei Präsenztermine erweitert und inhaltlich umgebaut. Mittlerweile wird die negative Mitgliederentwicklung immer drängender für DBV, BLV und die Vereine, sodass sich die Ausbildungsinhalte von der Talentsichtung weg zur Mitgliedergewinnung verschoben haben. Der Schwerpunkt mehr Methodenkompetenz für den Kinderbereich auszubilden ist geblieben aber wir investieren zunehmend mehr Ausbildungszeit in die Vereinsentwicklung.“
„Heute spielt die aktive regelmäßige und strukturierte Mitgliedergewinnung im Schüler und Jugendbereich eine zentrale Rolle für die Entwicklung 'gesunder Vereine'. Und nur diese sind dann in der Lage die talentierteren Kinder zu finden und zu fördern. In den letzten fünf Jahren hat sich z.B. die Zahl der Vereine im 'Club der over 100 U19' Vereine in NRW halbiert. Um diese Entwicklung umdrehen zu können, brauchen wir funktionierende DBV-Talentnester, selbst wenn der Begriff nicht mehr angemessen ist, schließlich steht die Mitgliederentwicklung im Vordergrund.“
Szenarien:
Deine neue Trainingsgruppe ist komplett heterogen, wie gehst Du mit dieser Situation um?
„Mir stellt sich die Frage, wie diese Unterschiede aussehen? Im Aufwärmen packe ich Aufgaben für die gesamte Gruppe rein, danach gibt es Binnendifferenzierung!“
Ein Leben ohne Badminton, wohin mit Deiner Begeisterung? Woher kommt diese Motivation?
„Ich würde mich noch stärker in ActionTypes stürzen. Da ich vielseitig groß geworden bin und Bewegung und Sport zentrale Anker meines Lebens darstellen, würde ich in diesem Bereich weiterarbeiten wollen.“
Wenn Du jetzt entscheiden müsstest, welchen Schlag und welche Lauftechnik Du bis an Dein Leben Ende durchführen musst, welche wären das?
„Wenn genau das die Situation ist, wäre das der Moment, an dem ich dem Badmintonsport den Rücken zukehren würde! Das Besondere am Badminton ist, dass man auf vielen verschiedenen Wegen zum Erfolg kommen kann!“
Werdegang als Trainer | Rainer Diehl:
- In der Jugend mehrere Sportarten auf Wettkampfbasis betrieben
- Mit 14 der Badmintonstart
- Studium an der DSHS Köln zum Diplomsportwissenschaftler
- Trainertätigkeiten in verschiedene Sportarten: Skilehrer, Leichtathletik- und Volleyballtrainer, Psychomotorik
- Mit 20 Start als Badmintontrainer, C-Trainer über das Studium erworben, B und A Lizenz folgend
- Von 20 bis 28 Erfahrungen als Honorartrainer in verschiedenen Vereinen und Leistungsstufen, dann Einstieg als Landestrainer beim BLV-NRW (die dritte in Deutschland eingerichtete hauptamtliche Badmintontrainerstelle)
- Von 1995 bis 2006 Staff Coach der BEC Summer School (Trainingscamp von Badminton Europe)
- Durfte die durch den Aufbau des Talentteam Deutschland ausgelöste Aufschwungsphase der DBV-Jugend hautnah miterleben.
- Elite-Trainerprojekt unter Flemming Wiberg und Wolfgang Klöckner, als zentraler Baustein der eigenen Trainerentwicklung. Zunächst in das Herreneinzelprojekt eingebunden, dann Wechsel in das TTD U17
- Mit dem TTD U17 gelang dann der erste Sieg einer deutschen Nationalmannschaft über Dänemark in einem offiziellen Turnier (U17 6-Nations 1997)
- Wechsel nach Berlin, dort ½ hauptamtliche Stelle und Beendigung des Elitetrainerprojektes
- Angebot die sportliche Leitung des französischsprachigen Teils Belgiens und eines neuen Sportinternats zu übernehmen. Nach zwei Jahren die Nationaltrainerstelle übernommen und in dieser Zeit ein flämisch-wallonisches Herrendoppel bis WR 23 geführt
- Nach acht Jahren Belgien Wechsel in den französischsprachigen Teil der Schweiz. Erster Austausch mit den Gründern von ActionTypes
- Nach zwei Jahren Rückkehr nach Deutschland, um die neue eingerichtete Stelle des Bundestrainer Talententwicklung zu übernehmen (vier Jahre)
- Zwei Jahre als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der DSHS Köln gearbeitet
- 1 ¼ Jahre arbeitslos, um neue Kreativität und Leidenschaft zu entwickeln
- Seitdem in Wesel mit einer ½ hauptamtlichen Stelle im Verein tätig und freiberufliche Referententätigkeit mit den Schwerpunkten ActionTypes; Freiwilliges Soziales Jahr und DBV-Talentscoutausbildung
