Claudia Pauli sprach mit Josche Zurwonne über seine aktuelle Situation, seine Laufbahn als Leistungssportler und den Übergang vom Sport in den beruflichen Alltag.
Claudia Pauli: „Wie ist der ‚aktuelle Stand‘ bei dir, nachdem du mit dem Leistungssport aufgehört hast?“
Josche Zurwonne: „Ich befinde mich seit dem 1. November 2019 im Referendariat am St.-Pius-Gymnasium Coesfeld (Nordrhein-Westfalen; Anm. d. Red.). Ich hatte mich im Saarland und in Nordrhein-Westfalen um ein Referendariat beworben. Letztlich habe ich mich für die Stelle in Coesfeld entschieden, sodass ich wieder zurück in die Heimat gezogen bin. Ich habe eine tolle Schule erwischt, mit einem sehr netten Kollegium!“
Pauli: „Welche Fächer hast du auf Lehramt studiert?“
Zurwonne: „Ich habe Erdkunde und Sport auf Lehramt studiert und unterrichte von der 5. bis zur 12. Klasse, also von den Jüngsten bis zu den angehenden Abiturientinnen und Abiturienten.“
Pauli: „Wo hast du studiert?“
Zurwonne: „Ich bin mit 19 Jahren, also nach meinem eigenen Abi, von Lüdinghausen, wo ich bis dato gewohnt habe und wo ich auch jetzt wieder wohne, ins Saarland gegangen, um am Bundesstützpunkt in Saarbrücken zu trainieren. Zunächst war ich zwei Jahre als Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr ‚Badmintonprofi‘, dann habe ich – als einer der ersten Sportsoldaten – an einer Präsenzuni studiert. Bis dato hatte man als Sportsoldat nur die Möglichkeit, an einer Fernuni zu studieren.“
Ich wusste früh, dass ich gerne beruflich etwas mit jungen Leuten, mit Kindern und Jugendlichen, machen und an sie weitergeben möchte
Josche Zurwonne
Claudia Pauli: „Wann war dir klar, dass du Lehrer werden möchtest?“
Zurwonne: „Ich wusste früh, dass ich gerne beruflich etwas mit jungen Leuten, mit Kindern und Jugendlichen, machen und an sie weitergeben möchte, was ich gerne mache. Das bietet sich gerade bei den Fächern, die ich habe, gut an: Beide sind nah am Alltag der Kinder und Jugendlichen und ich kann darin hervorragend Werte vermitteln. Das ist gerade auch an der Schulform, an der ich bin, sehr gut möglich.“
Pauli: „Wie hast du es geschafft, Studium und Leistungssport zu vereinbaren? Welche Herausforderungen hat dies ggf. mit sich gebracht?“
Zurwonne: „Das war nicht immer einfach. Es gab Phasen, da war es stressiger als in anderen. Ich konnte mein Studium strecken, was sehr wichtig war. Der Nachteil bestand darin, dass ich – bedingt durch die Fächer – ein Präsenzstudium absolvieren musste. Dies hat viel Disziplin erfordert. Schließlich musste ich z. B. nach dem Training immer in der Uni anwesend sein und konnte nicht immer etwa anschließend Physiotherapie wahrnehmen. Entsprechend gab es auch viele Diskussionen im Trainerteam, ich musste um Freigaben kämpfen. Aber ich habe das Studium gebraucht, um auch etwas für den Kopf zu machen. ‚Nur‘ Leistungssport wäre mir zu wenig gewesen.“
Pauli: „Dann bedeuteten Turnierreisen, bei denen du z. B. drei Wochen am Stück in Asien unterwegs warst, auch im Hinblick auf das Studium eine große Herausforderung …“
Zurwonne: „Ich musste Ersatzleistungen bringen, z. B. Extra-Hausarbeiten oder -Ausarbeitungen anfertigen. Ich hatte allerdings das Glück, dass meine Dozenten mich alle sehr unterstützt haben, das hat mir sehr geholfen. Auch wenn die Uni des Saarlandes eine Sportuni ist und mit dem in Saarbrücken ansässigen Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland kooperiert, ist das nicht selbstverständlich. Ich bin sehr dankbar dafür, dass mir die Vereinbarkeit von Leistungssport und Studium ermöglicht wurde.“
Claudia Pauli: „Wann fiel für dich die Entscheidung, dich nun auf den Beruf zu konzentrieren?“
Zurwonne: „Die Entscheidung fiel nicht von heute auf morgen. Nachdem ich zehn Jahre aktiver Sportler war, habe ich irgendwann gemerkt, dass ich eine neue Herausforderung benötige. Vor einem Jahr habe ich dann bekannt gegeben, dass ich meine Karriere nach dem Sommer auslaufen lassen möchte. Nach den Olympischen Spielen 2016 gab es einen Umbruch in Saarbrücken, es hat sich viel verändert. Es gab einen Stützpunkt- und Trainerwechsel*, es sind viele junge Leute nach Saarbrücken gekommen und die Stimmung war eine andere als vorher. Auch mit Blick auf die Olympischen Spiele 2020 habe ich gespürt, dass ich nicht mehr dazu bereit bin, weiterhin Leistungssport zu treiben. Zugleich musste ich an meine Partner denken, die vor der Olympiaquali standen. Ihnen wollte ich keine Steine in den Weg legen, daher erschien mir der Zeitpunkt zum Aufhören sehr sinnvoll.“
Ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft wie vorher Leistungssport betrieben habe
Josche Zurwonne
Pauli: „Wie leicht oder schwer ist diese Entscheidung für dich gewesen?“
Zurwonne: „Wie angedeutet, habe ich mir für die Entscheidung einige Monate Zeit genommen. Ich wollte wissen, ob mein Gefühl nur eine Phase ist. Aber ich habe gemerkt, dass ich nicht mehr mit der gleichen Leidenschaft wie vorher Leistungssport getrieben habe. Leistungssport bedeutet auch Entbehrung, das sehen viele Außenstehende nicht. Ich hatte z. B. wenig Zeit, Geburtstage von Freunden zu feiern oder Feiertage mit der Familie zu verbringen, und war teilweise stark fremdbestimmt. Außenstehende nehmen oft nur wahr, dass man viel von der Welt sieht, an tolle Orte kommt. Das ist sicherlich auch ein positiver Aspekt, aber nach zehn Jahren Reisetätigkeit mit viel Fliegen war ich auch ein wenig ‚reisemüde‘. Die Belastung war immer sehr hoch, wenn man z. B. drei Wochen in Asien war und nach der Rückkehr am Wochenende noch Bundesliga spielen musste. Nun genieße ich die neu gewonnene Zeit für die Familie, für Hobbies etc.“
Pauli: „Welche Rolle spielten Verletzungen bei deiner Entscheidung?“
Zurwonne: „Dass ich mit Verletzungen zu kämpfen hatte, war eigentlich erst der Fall, nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, mit dem Leistungssport aufzuhören, bzw. sie fielen in die gleiche Phase. Ich hatte das Glück, relativ verletzungsfrei durch die Karriere zu kommen, und bin dankbar, dass ich den Zeitpunkt für mein Karriereende frei wählen konnte.“
Pauli: „Wie ist der Übergang vom Leistungssport zum Referendariat verlaufen?“
Zurwonne: „Der Übergang verlief reibungslos. Nachdem ich während meiner Karriere vier Jahre lang bei der Bundeswehr pausiert habe, war ich am Ende wieder Mitglied der Sportfördergruppe. Die Bundeswehr hat mir als mein Arbeitsgeber immer den Rücken freigehalten und war immer für mich da – ob mit oder ohne Erfolg. Ich denke, gerade in den drei Jahren nach meiner Rückkehr zur Bundeswehr konnte sie noch einige Erfolge mitnehmen. Sie hat mich bis zum Ende meines Vertrages, Mitte Oktober 2019, gefördert, am 1. November 2019 begann das Referendariat. Das war somit ein perfekter Übergang.“
Gewinnen war immer etwas ganz Großes für mich
Josche Zurwonne
Pauli: „Wie war es für dich, wieder zurück in dein Heimatbundesland zu ziehen, nachdem du mehrere Jahre im Saarland gewohnt hast?“
Zurwonne: „Wieder in der Heimat zu sein, erleichtert es natürlich, die Familie zu sehen und alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen. Aber ich habe das Saarland in den zehn Jahren schätzen gelernt und war offen für alles. Ein Referendariat im Saarland wäre, wie gesagt, auch eine Option gewesen. Aber die für mich passende Stelle gab es letztlich in Nordrhein-Westfalen.“
Pauli: „Offenbar stellte es kein Problem dar, dass du in einem anderen Bundesland studiert hast …“
Zurwonne: „Die Lehramts-Studiengänge sind mittlerweile eigentlich in allen Bundesländern gleichgestellt. Man muss sie sich wohl anerkennen lassen, wenn man in ein anderes Bundesland wechselt. Während des Studiums wäre ein Wechsel nicht machbar gewesen, aber nach dem Studium schon.“
Pauli: „Wann wirst du dein Referendariat voraussichtlich beendet haben?“
Zurwonne: „Das Referendariat dauert 18 Monate. Wenn alles gut läuft, bin ich im April 2021 fertig.“
Pauli: „Darfst du auch schon alleine unterrichten?“
Zurwonne: „Das ist unterschiedlich. Nach den Halbjahreszeugnissen, die es in NRW am 31. Januar gab, habe ich eigene Klassen bekommen, sodass ich seitdem teilweise eigenständig unterrichte. Ich habe aber auch Team-Teaching, damit man als Referendar von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen lernen kann.“
Pauli: „Was hat dich am Leistungssport fasziniert?“
Zurwonne: „Gewinnen war immer etwas ganz Großes für mich. Ich war daher auch sehr ehrgeizig im Sport, habe hart trainiert. Ich bin dankbar dafür, mit wie vielen Leuten ich in dieser Zeit in Kontakt gekommen bin, wie viele tolle Charaktere aus ganz verschiedenen Nationen ich kennengelernt habe, zu denen ich – trotz aller Konkurrenz – ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut habe und zu denen ich vielfach nach wie vor Kontakt habe.“
Pauli: „Was nimmst du aus deiner Karriere bzw. deiner langen Zeit als Leistungssportler mit?“
Zurwonne: „Im Leistungssport, gewissermaßen mein erster Beruf, habe ich viele Erfahrungen gesammelt, die ich nun weitergeben kann. Ich habe nicht nur das ‚System Schule‘ kennengelernt. Wenn man zehn Jahre Leistungssport ‚durchsteht‘, schafft man es z. B. gut, mit Höhen und Tiefen umzugehen. Ich hatte als Leistungssportler nicht immer alles selbst in der Hand, etwa die Auslosung. Im Nachhinein kann man dies auch durchaus positiv sehen. Ich habe in jedem Fall eine Menge erlebt, was mich auf mein weiteres Leben vorbereitet hat.“
Pauli: „Welche Erfolge im Badminton sind für dich von größter/besonderer Bedeutung?“
Zurwonne: „Wenn man rein die Ergebnisse betrachtet, waren das sicherlich die Medaillengewinne bei den Team-Europameisterschaften und der fünfte Platz bei der Individual-EM. Ich denke aber eher an die Erfolge zurück, die ich mit einem bestimmten Team bzw. Partner erreicht habe. So hatte ich z. B. bei meinem ersten Titelgewinn bei den Deutschen Meisterschaften und bei dem Gewinn der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft mit dem SC Union Lüdinghausen tolle Persönlichkeiten an meiner Seite. Auf der emotionalen Ebene rangieren diese Erfolge deutlich weiter oben.“
Pauli: „Spielst du nach wie vor in der Bundesliga?“
Zurwonne: „Ja, ich spiele nach wie vor für den SC Union Lüdinghausen. Badminton ist für mich immer noch ein toller Sport, aber ich habe zum einen nun eine weitaus geringere Erwartungshaltung an mich selbst, zum anderen sind die Erwartungen, die von außen an mich herangetragen werden, längst nicht mehr so hoch. Als Leistungssportler wollte ich jedes einzelne Spiel gewinnen und war entsprechend unzufrieden, wenn mir das nicht gelungen ist. Nun gehe ich mit viel mehr Spaß an die Sache.“
Pauli: „Trainierst du auch noch regelmäßig?“
Zurwonne: „Ich trainiere, wie es das Referendariat zeitlich zulässt. Ich probiere, ab und zu in die Halle zu kommen. Im SC Union Lüdinghausen wird eine tolle Jugendarbeit geleistet. Wir haben einige U13er, die zu den erfolgreichsten Spielern in diesem Alter in Deutschland zählen. Indem ich mit ihnen trainiere und junge Leute fördere, versuche ich etwas zurückzugeben für das, was ich im Leistungssport erleben durfte.“
Pauli: „Welche Wünsche hast du für deine berufliche Zukunft?“
Zurwonne: „Aktuell bin ich wirklich zufrieden. Der ‚Tapetenwechsel‘ hat mir gutgetan. Ich hoffe, natürlich, dass die Schülerinnen und Schüler mich ähnlich positiv sehen, wie ich den Job …“.
Claudia Pauli: „Herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch und weiterhin viel Erfolg im und Freude am Referendariat!“
Auswahl größter Erfolge:
38 Länderspiele
Vizeeuropameister 2012 mit dem deutschen Herrenteam
EM-Dritter 2014, 2016 und 2018 mit dem deutschen Herrenteam
Deutscher Meister 2015 im Herrendoppel
Deutscher Meister 2018 im Herrendoppel
Deutscher Mannschaftsmeister 2014
* Anm. d. Red.: Bis dato war der Bundesstützpunkt in Saarbrücken der Trainingsstandort der Herren. Seit dem Herbst 2016 sind dort die Doppel- und Mixedspezialistinnen und -spezialisten beheimatet, während die Einzelspielerinnen und -spieler am Bundesstützpunkt in Mülheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen) trainieren.