In Asien ist Marc Zwiebler ein Star. Dort, wo regelmäßig 60, 70 oder auch 80 Millionen Menschen Badminton-Spiele im Fernsehen verfolgen, wird Deutschlands überragender Herreneinzelspieler des letzten Jahrzehnts auf der Straße erkannt. In China, Indien, Malaysia oder Indonesien hätte er heute finanziell ausgesorgt. Vielleicht würde er es jetzt, nach dem internationalen Karriereende, seinen asiatischen Badmintonfreunden gleich tun und eine Badminton-Akademie eröffnen. Eine, vor dem die Kinder und Jugendlichen Schlange stehen, und für die deren Eltern bereit sind, viel Geld zu zahlen. In den Badminton-verrückten Ländern Asiens ist die Sportart ein Weg zu sozialem Aufstieg. Diejenigen, die es an die Weltspitze schaffen, werden in ihren Ländern wie Popstars verehrt.
Marc Zwiebler hat es in die Weltspitze geschafft. Ein Popstar ist er in Deutschland trotzdem nicht. Dabei war er der erste Deutsche überhaupt, und einer von wenigen Europäern, der in der Weltrangliste unter den Top10 stand. Er wurde 2012 Einzel-Europameister und führte 2013 das deutsche Team zum sensationellen Triumph bei der Mannschafts-EM. Zwiebler stand in zwei Finals der hochrangigen "Superseries-Turniere", die mit Grand Slam-Turnieren im Tennis gleichzusetzen sind, und erreichte das Halbfinale bei den traditionellen "All-England", dem "Wimbledon des Badmintons". Mit Marc Zwiebler kam der Glaube, dass man auch als Deutscher mit Asiens Spitzenspielern mithalten kann.
„Ich habe mich nie als etwas Besonderes gesehen, nur weil ich gut Badminton spielen kann."
Dass Zwiebler trotz all seiner Erfolge kein "Boris Becker des Badminton" wurde, ist wohl dem Umstand zuzuschreiben, dass Badminton als Randsportart so gut wie keine Fernsehpräsenz hat. Und dem Umstand, dass dem gebürtigen Bonner eine Medaille bei den Olympischen Spielen verwehrt blieb. Vielleicht war der Druck als eine der wenigen deutschen Medaillenhoffnungen letzten Endes zu groß. Schließlich hängen an olympischen Medaillen entsprechende Fördergelder für die gesamte Sportart. In Rio 2016, bei Zwieblers dritten Olympischen Spielen nach Peking 2008 und London 2012, erlebte er wohl die bitterste Niederlage seiner Karriere, als er überraschend in der Gruppenphase ausschied. Ein Jahr später, im August 2017, hat Marc Zwiebler seine internationale Karriere beendet. Begonnen hatte er diese beim 1. BC Bonn-Beuel, bei dem seine beiden Eltern Eva-Maria und Karl-Heinz Badminton spielten - international so erfolgreich, dass beide in den 70er- und 80er-Jahren von der Deutschen Sporthilfe gefördert wurden und heute Mitglieder in emadeus, dem Club der Sporthilfe-Athleten sind. Sohn Marc wuchs quasi in der Badminton-Halle auf und galt schon früh als eines der größten Talente in Deutschland. In den letzten 15 Jahren war er fast pausenlos auf internationalem Parkett unterwegs. Er bestritt insgesamt fast 550 Profispiele, mehr als 350 hat er davon gewonnen.
Als Herreneinzelspieler war er das Aushängeschild des Deutschen Badminton-Verbandes, jedoch fernab jeglicher Star-Allüren: "Ich habe mich nie als etwas Besonderes gesehen, nur weil ich gut Badminton spielen kann. Im Gegenteil, ich bin froh und glücklich, dass ich mein Hobby zum Beruf machen durfte", sagt Zwiebler. Auch wenn er Badminton in den letzten Jahren als Profi ausgeübt hat und sich keine Sorgen machen musste, wie er beispielsweise seine Miete bezahlen kann, sei es "monetär nicht immer das Interessanteste gewesen, Badminton zu spielen", sagte Zwiebler zuletzt im Deutschlandfunk. "Aber die vielen Reisen und Erfahrungen, die Einblicke in unterschiedliche Kulturen, die will ich für kein Geld der Welt missen."
Mit seinem Rücktritt hinterlässt der 33-Jährige, der in den vergangenen Jahren auf nationaler Ebene nahezu konkurrenzlos war, eine Lücke im deutschen Badminton. Die Hoffnungen des Verbandes werden in Zukunft auf den Schultern eines elf Jahre Jüngeren liegen: Fabian Roth, der dem neunmaligen Deutschen Meister Zwiebler 2017 erstmals den nationalen Titel abnehmen konnte. Seinem designierten Nachfolger wünscht der Rekordmeister eine große Zukunft, warnt jedoch davor, seinen "Kronprinzen" zu früh unter Druck zu setzen. "Es gehört zu einer erfolgreichen internationalen Karriere auch viel Glück dazu, vor allem muss man von Verletzungen verschont bleiben", sagt der Altmeister. Er weiß, wovon er spricht.
"Ich war immer sehr talentiert, aber auch faul."
Marc Zwiebler hat neben den Höhen nämlich auch die Tiefen des Leistungssports am eigenen Leib erfahren. Mit Anfang 20 wäre seine Karriere beinahe schon beendet gewesen. Er war gerade zum ersten Mal Deutscher Meister geworden und für die ersten großen Turniere nominiert. Eine Chance, die er sich nicht entgehen lassen wollte - trotz massiver Rückenschmerzen, die ihn stark beeinträchtigten. Und das mehr und mehr nicht nur beim Sport, sondern auch im Alltag. Irgendwann konnte er nicht mehr schmerzfrei gehen, stehen oder liegen, wusste monatelang nicht einmal, wie er jemals wieder studieren, geschweige denn würde arbeiten können. Badminton hatte er zu jener Zeit schon mehr oder weniger ad acta gelegt. Erst eine Not-OP an der Bandscheibe Ende 2006 brachte die Wende. Deshalb unterteilt Zwiebler auch seine Karriere in die Zeit vor und nach der OP.
"Ich war immer sehr talentiert, aber auch faul", blickt der Jugend-Europameister von 2003 heute selbstkritisch zurück. Krafttraining, Physiotherapie oder Dehnen hatte er bis dato nicht so ernst genommen. Erst nach dem Bandscheibenvorfall verinnerlichte er, dass Spitzen-Badminton nicht nur Spaß, sondern sehr viel harte Arbeit ist. Dies war die Basis für seine weitere Karriere und sein erstaunliches Comeback: Trotz eineinhalb Jahren Wettkampf-Pause qualifizierte er sich 2008 sensationell für die Olympischen Spiele. "Mein größter Erfolg war sicherlich der EM-Titel 2012. Aber mein schönstes Erlebnis als Badmintonspieler war der Moment, als ich in Peking auf's Feld gegangen bin. Das war ein unbeschreibliches Gefühl."
In Zukunft will sich Zwiebler nun vermehrt von außerhalb des Courts einbringen. Seit Jahren ist er Athletensprecher im deutschen Verband, im Mai ist er zudem in die Athletenkommission des Weltverbandes BWF gewählt worden. "Sportpolitik ist für Athleten oft nicht nachvollziehbar, aber ich mische mich da lieber ein, als zu meckern", erklärt er seine Beweggründe. Paris, London und Dubai sind drei der kommenden Stationen, die er in seiner Funktion als Athletensprecher in der nächsten Zeit anfliegt - von Bonn aus.
Denn Zwiebler ist in seine Heimatstadt zurückgezogen. Sein dortiges soziales Umfeld hatte unter der Leistungssportkarriere gelitten. Unzählige Geburtstage, aber auch Hochzeiten und selbst Beerdigungen hat er aufgrund der Wettkampfreisen verpasst. Jetzt sei es an der Zeit, seiner Familie und seinen Freunden etwas zurück zu geben - auch wenn es ihn als Badminton-Weltenbummler bereits wieder jucke, in eine größere Stadt zu ziehen. Doch auch die berufliche Karriere wird ihn in der nächsten Zeit an Bonn binden. Mit einem Bachelorabschluss in BWL hat er bereits während dem Sport den Grundstein dafür gelegt, studiert aktuell im Master und ist als Mitgeschäftsführer in einer Bonner Unternehmensberatung im Recruiting-Bereich eingestiegen.
"Ich will natürlich, dass der Sport in Deutschland auch weiterhin gefördert wird."
Das ungute Gefühl bei der Frage, wie es nach dem Sport weitergeht, scheint verflogen. "Das ist die Schwierigkeit oder auch die große Kunst, im Berufsleben etwas zu finden, was einem auch nur annähernd so viel Spaß macht und einen erfüllt wie der Sport." Der Ansatz der Deutschen Sporthilfe, mit der Idee der dualen Karriereförderung, mit ihren Programmen, dem Netzwerk und Angeboten, habe ihm einen großen Teil dieser Angst genommen. "Das Wissen, dass ich in der Sporthilfe Ansprechpartner habe, die sich um mich kümmern, wenn ich ein Problem habe - das war mir noch weit wichtiger als die finanzielle Förderung."
Größtes Hindernis war jedoch die fehlende Zeit während der Karriere, da Badminton als Hallensportart keine Saisonpause kennt. "In den letzten zehn Jahren hatte ich vielleicht drei Wochen Urlaub", hat Zwiebler schnell zusammen gezählt. Von daher war er froh, dass er über das Sporthilfe-Programm "Sprungbrett Zukunft" mit Oliver Wagner, Geschäftsführer von Eurowings, einen Mentor an die Seite gestellt bekommen hat, mit dem er interessante Gespräche führen und sich austauschen kann. Das habe ihn auch auf der persönlichen Ebene weitergebracht. Und auch jetzt, in der Übergangsphase vom Sport in den Beruf, hoffe er, noch von dem einen oder anderen Angebot in der Nachaktiven-Förderung der Sporthilfe profitieren zu können.
Dem Jungunternehmer Zwiebler ist es aber auch wichtig, etwas zurückgeben zu können. Wie seine Eltern wird er deshalb Mitglied in emadeus. Insbesondere aber will er sein persönliches Netzwerk nutzen und Menschen motivieren, sich im Sport zu engagieren, sei es als Mentor oder Sponsor. "Denn ich will natürlich, dass der Sport in Deutschland auch weiterhin gefördert wird."
Der Artikel ist im aktuellen „go!d“-Magazin der Deutschen Sporthilfe erschienen.